Grosses Bedürfnis nach Chatberatung

Seit Anfang Jahr steht mit der Chatberatung ein neuer, unkomplizierter Zugang zur Opferhilfe bereit. Wie wird das Angebot aufgenommen? Was sind Chancen und Schwierigkeiten? Ein Zwischenbericht.

Die Chatberatung ist seit dem 1. Januar 2023 von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr erreichbar. Während 50 Stunden pro Woche bieten die Opferhilfe beider Basel zusammen mit den Opferberatungen oder -hilfen Aargau, Bern, Luzern, Nidwalden, St. Gallen, Appenzell IR und AR, Thurgau und Zürich Beratungen zu allen Themen rund um Gewalt und Straftaten an.

Erfolgreicher Start
In den ersten sechs Monaten wurden 446 qualifizierte Beratungen über den Chat erbracht. Damit werden über das neue Medium etwa gleich viele Ratsuchende unterstützt, wie dies eine mittelgrosse Opferberatungsstelle der Schweiz leistet. «Das ist enorm», sagt Thomas Gall von der Opferhilfe beider Basel. «Wir haben in dieser Zeit wöchentlich sieben Stunden Bereitschaftsdienst abgedeckt. In dieser Zeit erhielten 71 Ratsuchende eine qualifizierte Beratung. Damit sind wir leicht über dem Durchschnitt der beteiligten Stellen.»

Wer sucht Beratung?
Die grosse Herausforderung der synchronen Chatberatung liegt darin, dass die Fachleute oft bis zum Schluss nicht wissen, wer ihr Gegenüber ist. So bleibt zum Beispiel in rund 30% der Beratungen das Geschlecht bis zum Schluss unklar. Die Beraterinnen und Berater können sich einzig an das geschriebene Wort halten. Alle anderen Sinneswahrnehmungen, auf die sich in einem Beratungsgespräch zurückgreifen lässt, fallen weg.

Werden persönliche Merkmale angegeben, dann zeigt sich, dass die durchschnittliche Ratsuchende weiblich, zwischen 30 und 64 Jahre alt ist und sich wegen Gewalt in der Beziehung beraten lässt. Von den erwähnten 71 Ratsuchenden gaben 42 das Geschlecht als weiblich und 7 als männlich an. Sexualisierte Gewalt und Gewalterfahrungen ausserhalb der Beziehung werden beinahe ebenso häufig thematisiert wie häusliche Gewalt. Oft wird den Ratsuchenden geraten, sich an die lokale Opferberatungsstelle zu wenden. Im Chat sind die allermeisten Beratungen aber einmalig.

Gemeinsame Supervision – ein Novum
Inzwischen fanden auch Supervisionen statt. «Dabei haben unseres Wissens erstmals in der Geschichte des Opferhilfegesetzes (OHG) überhaupt Beratende aus verschiedenen Stellen an einer gemeinsamen Supervision teilgenommen», betont Thomas Gall. «Damit trägt das Projekt der Chatberatung auch zu einem wertvollen fachlichen Austausch zwischen den Beratungsstellen bei. Das möchten wir bereits heute nicht mehr missen.»

Gezielte Öffentlichkeitsarbeit
Die Öffentlichkeitsarbeit findet – dem beworbenen Medium entsprechend – vorwiegend über elektronische Kanäle statt. Vor allem Radiospots auf digitalen Radiosendern und Musikstreaming-Applikationen erreichen ein jüngeres Publikum, das mit dem Projekt angesprochen werden soll. Zudem wurde im öffentlichen Verkehr in begrenztem Umfang Bildschirmwerbung gemacht.

Frühzeitige Evaluation
Die Fachhochschule FHNW begleitete das Projekt im ersten Halbjahr intensiv. Ratsuchende wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, und auch die Beratungspersonen hatten nach jeder Beratung Fragen zu beantworten. Daneben fanden Interviews mit den Projektleitenden der involvierten Beratungsstellen statt. Die Evaluation wird demnächst abgeschlossen. Die Ergebnisse werden im nächsten Zwischenbericht vorgestellt.

Es braucht Erfahrung
Es hat sich bewährt, Beratungspersonen einzusetzen, die über ausreichend Erfahrung in der Opferberatung verfügen und diese gezielt auf die Herausforderungen des Mediums Chat weiterzubilden. Die Opferhilfe beider Basel hat von Anfang an darauf gesetzt, mindestens fünf bis sechs Beratungspersonen zu haben, welche die Chatberatung übernehmen können. Aufgrund der natürlichen Personalfluktuation bleibt es eine Herausforderung, diesen Bestand aufrechtzuerhalten.

Langfristige Pläne
Die beteiligten Stellen machen sich bereits Gedanken über die mittel- und längerfristigen Perspektiven. Das Projekt läuft in dieser Form bis Ende 2024. Klar ist, dass die Chatberatung auch danach weiter bestehen und in das Leistungsangebot der einzelnen Stellen eingebunden werden soll. Zudem wird angestrebt, weitere Beratungsstellen mit ins Boot zu holen. Die Erfahrung zeigt, dass es sich um polyvalente Opferberatungsstellen handeln muss, die Anfragen in allen Opferkategorien beraten können. Deshalb kommt nur eine begrenzte Zahl von Beratungsstellen in Frage. Zu diesen wird der Kontakt persönlich aufgenommen.