Wertschätzung für Awarenessarbeit am ESC

Damit sich am ESC alle sicher und wohl fühlten, war Awareness grossgeschrieben. Das umfangreiche Konzept war in dieser Form einmalig für die Schweiz und soll Vorbild sein für andere Grossanlässe. Die Opferhilfe beider Basel betrieb eine 24/7-Hotline und vier Safer Spaces. Hier ziehen wir eine erste Bilanz.

Wertschätzung für Awarenessarbeit am ESC

Damit sich am ESC alle sicher und wohl fühlten, war Awareness grossgeschrieben. Das umfangreiche Konzept war in dieser Form einmalig für die Schweiz und soll Vorbild sein für andere Grossanlässe. Die Opferhilfe beider Basel betrieb eine 24/7-Hotline und vier Safer Spaces. Hier ziehen wir eine erste Bilanz.

Kennen Sie eine Opferberatungsstelle, die sich aus dem geregelten Bürobetrieb mitten ins Event-Nachtleben hinaus und hinein bewegt und vor Ort mit Menschen über gerade akut erlebte Grenzverletzungen, über Angst, Unwohlsein und ganz Praktisches unterhält und ihre Dienste anbietet? Oder kennen Sie eine Opferberatungsstelle, die ganze Nächte und Wochenenden an einer Hotline verbringt, um schnell, unkompliziert Beratungen und Informationen anzubieten? Wenn Sie noch etwas weiterlesen, erfahren Sie, dass Sie eine kennen: die Opferhilfe beider Basel.

Grund dafür ist der ESC. In der Medienmitteilung zum Grossanlass hatte der Basler Regierungsrat Folgendes versprochen: «Pionierhaftes und niederschwelliges Awarenesskonzept für den ESC: 24/7-Hotline, Safer Spaces und Mobile Awareness Teams in den Venues». Die Opferhilfe beider Basel betrieb die Safer Spaces und die 24/7-Hotline. Während einer Woche war unser Team zusammen mit über 30 Freiwilligen im Einsatz.

Vielleicht fragen Sie sich, ob das zum Auftrag einer Opferberatungsstelle gehört? Aus unserer Sicht lautet die Antwort: ja.

Niederschwelliges Angebot

Beratungen für gewaltbetroffene Personen müssen niederschwellig zugänglich sein, um in Anspruch genommen zu werden. Damit ein Angebot niederschwellig ist, muss es präsent und sichtbar sein, am besten mit einer magentafarbenen Weste wie am ESC. Es braucht ein Gesicht, eine Stimme und einen partnerschaftlichen Ansatz, bei dem die Betroffenen und ihre Bedürfnisse im Zentrum stehen.

Und was ist der Nutzen, wenn diese Stellen und Personen bei einer Grenzverletzung unmittelbar, schnell und unkompliziert erreichbar sind? Wieso kann das nicht warten? In gewissen Fällen und Situationen ist das sofortige Ansprechen belastender Themen wichtig. Das heisst, bevor sie bei Betroffenen zu viel Raum und Energie beanspruchen und diese weitreichende Ängste aufbauen.

Dankbarkeit und Wertschätzung

Welche ersten Erfahrungen und Erkenntnisse nehmen wir aus dem ESC-Awarenesseinsatz mit? Wir haben sehr viel Dankbarkeit und Goodwill von den Gästen, Besuchenden und der Bevölkerung erfahren. Da kamen einfach Menschen auf uns zu, die sich bedankten, dass wir dies machen, und sagten, das würde ihnen Sicherheit geben. Andere nickten uns zu, lächelten uns an oder fragten nach und zeigten so ihre Wertschätzung.

Awarenessarbeit gehört in das Sicherheitsdispositiv

Grosse Events haben es bezüglich Sicherheit mit hochkomplexen Herausforderungen und sehr viel Unsicherheit zu tun. Ganz zentral sind dabei Massnahmen der kollektiven Sicherheit. Und hier haben Sicherheitsdienste, die Polizei und die anderen Blaulichtorganisationen Unglaubliches zu leisten. Awarenessarbeit findet auf einer anderen Ebene statt. Hier geht es um persönliche Sicherheit und Freiheit. Die Menschen sollen sich sicher, wohl und frei fühlen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Herkunft.

Es ist ein betroffenenzentrierter Ansatz. Awareness ist keine Konkurrenz zur Polizei, Sanität oder einem privaten Sicherheitsdienst. Vielmehr ergänzt und erweitert Awareness die kollektive mit der subjektiven Sicherheit. Dieser Ansatz und diese Haltung mussten den involvierten Sicherheitsdiensten am ESC immer wieder kommuniziert werden.

Im Austausch mit Sicherheitsdiensten

Sehr wertvoll waren besonders die Gespräche mit ausserkantonalen Polizeitruppen. Diese waren sehr neugierig und fragten nach, was unser Einsatz sei. Nicht selten kam dabei die Aussage, das wäre auch bei ihnen wichtig und sinnvoll. Es war ein erster gemeinsamer Einsatz von so vielen Sicherheitsdiensten. Nach diesem Schritt muss es jetzt aber weitergehen. Nachdem die involvierten Awareness-Partnerinstitutionen auf die Sicherheitsdienste zugegangen sind, braucht es nun Bewegung in die andere Richtung. Hin zu mehr Akzeptanz von Awareness-Engagements bei den Sicherheitsdiensten.

Mehrwert dank Zusammenspiel von Freiwilligen und Profis

Die Motivation der Freiwilligen war beeindruckend und ansteckend. Unglaublich schnell waren alle Schichten vergeben. Die fünfeinhalbstündige Ausbildung schreckte niemanden ab. Die Vielfalt der Gesellschaft und des ESC-Publikums zeigte sich auch bei den Freiwilligen. Die Sichtbarkeit war primär der grossen Anzahl an Freiwilligen zu verdanken. Dass sie dabei im Austausch mit Profis waren, war für beide bereichernd, und in wichtigen Momenten konnten die Freiwilligen die Profis sehr entlasten.

Ja, es gab Grenzverletzungen und Straftaten

Im Vorfeld interessierte vor allem eine Frage Medien und Öffentlichkeit: Wie viele Grenzverletzungen wird es wohl geben? Eine Grenzverletzung muss nicht eine Straftat sein. Eine Grenzverletzung kann sein, wenn eine Person zu einer anderen sagt: «Verpiss dich, du Arschloch». Oder heftiger: «Du schwuler Pädophiler, du hast hier nichts verloren, wir können das draussen miteinander regeln.» Die Mitarbeitenden der Opferhilfe haben zahlreiche Gespräche geführt. Zum Glück gab es nur wenige schwere Vorfälle. Diese haben dann eine Mitarbeitende schnell über mehrere Stunden besetzt.

Wichtiger ist aus unserer Sicht eine andere Frage: Wie viele Grenzverletzungen konnten aufgrund der Sichtbarkeit und Präsenz verhindert werden? Sie lässt sich nicht einfach beantworten. Vergleiche mit ähnlichen Anlässen werden womöglich Anhaltspunkte liefern. Doch schon heute sind wir überzeugt, dass Awareness-Sichtbarkeit ähnlich präventiv wirkt wie erhöhte Sichtbarkeit etwa im Strassenverkehr oder in der Jugendarbeit.

Anstrengende Nachtarbeit

Eine besondere Erfahrung waren die Einsätze in der Nacht. Situationen, Kontakte und Gespräche, die die Beratenden so aus der Tagesarbeit nicht kennen. Es war spannend zu beobachten, wie eine Stadt erwacht und auch zu realisieren, wie viele andere Menschen in der Nacht arbeiten. Und dennoch war niemand traurig, als die Nachteinsätze vorbei waren. Die Annehmlichkeiten der Tagesarbeit überwiegen…

Awareness gehört dazu

Die Awarenessarbeit wird sich schneller verbreiten, als viele denken. Sie wird sich als unabdingbarer Bestandteil von Veranstaltungen positionieren und etablieren. Dies zeigen uns die Festivals für junge Menschen, dies machen uns einzelne Clubs eindrücklich vor. Gäste und Besuchende werden dies von den Veranstaltenden einfordern. Denn zu Ausgang und Freizeit gehören Sicherheit und Wohlfühlen zwingend dazu. Und ja, es wäre für eine Gesellschaft sicher schöner, wenn es all dies nicht brauchen würde, weil es zu keinen Grenzverletzungen käme. Und auch hier kann Awareness helfen und dazu beitragen, das Bewusstsein zu schärfen, Grenzen zu erkennen und diese zu respektieren.

Awareness am ESC 2025 Plakat