Barrierefreie Kommunikation, Austausch mit Menschen mit Behinderungen, Schulungen des Beratungspersonals: Necla Parlak, Geschäftsleiterin von insieme Basel, erklärt im Interview, wie Menschen mit Behinderungen besser vor Gewalt geschützt werden können.
Der Bundesrat hat letztes Jahr verschiedene Massnahmen vorgestellt, damit Menschen mit Behinderungen nicht Opfer von Gewalt werden. Den Verbänden und Institutionen der Behindertenorganisation und Branchenverbände gehen diese zu wenig weit. Sie haben vom Bund zusätzliche Schritte verlangt.
Frau Parlak, wie beurteilen Sie die Situation von Menschen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind? Was hat sich seit der Publikation des Bundesratsberichts verändert?
Necla Parlak: Die Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen, die von Gewalt betroffen sind, bleibt eine ernsthafte Herausforderung. Trotz zunehmender Sensibilisierung und rechtlicher Massnahmen, die auf den Schutz und die Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen abzielen, sind sie weiterhin einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden. Dieses Risiko ist häufig höher als bei Menschen ohne Beeinträchtigung. Das hat der Bericht des Bundesrats gezeigt.
Warum sind keine schnelleren Verbesserungen möglich?
Die Sensibilisierung für das Thema und der Abbau von struktureller Diskriminierung geschieht nicht von heute auf morgen. Die Inklusions-Initiative, die vor kurzem in Bern eingereicht, wurde, ist ein Meilenstein – sie macht die Diskriminierung von Menschen mit einer Beeinträchtigung bewusst. Massnahmen zur Gleichstellung und Förderung der Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung leisten einen wichtigen Beitrag zum Abbau von struktureller Gewalt.
Wo sehen Sie konkrete Fortschritte?
Der Bericht des Bundesrats hat die zuständigen Stellen für die Thematik der Gewalt an Menschen mit Beeinträchtigung sensibilisiert, was bereits zu ersten Massnahmen geführt hat. Die Opferhilfe beider Basel hat mit der Einstellung einer Fachperson mit Erfahrung in der Beratung von Menschen mit Beeinträchtigung einen wichtigen Schritt unternommen. Die Sensibilisierung und Schulung des Beratungspersonals für die spezifischen Bedürfnisse dieser Zielgruppe ist von zentraler Bedeutung.
Wo sehen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen den grössten Handlungsbedarf?
Einen grossen Handlungsbedarf für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sehe ich in der barrierefreien Kommunikation der Beratungsangebote. Dies kann zeitnah angegangen werden. Dabei geht es sowohl um die Nutzung leicht verständlicher Sprache als auch um die Auswahl geeigneter Informationskanäle, um die Angebote wirkungsvoll und zugänglich zu vermitteln. Bei insieme Basel haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein grosser Teil unserer Klientinnen und Klienten aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten keinen Zugang zur digitalen Welt hat. Viele Angebote, die nicht speziell für Menschen mit Beeinträchtigung konzipiert sind, werden jedoch zunehmend nur noch digital beworben, was eine erhebliche Barriere darstellt. Aber auch für jene, die digital aktiv sind, gibt es zahlreiche Hürden, etwa in der Übersichtlichkeit der Website oder der Verständlichkeit der verwendeten Sprache.
Wo sehen Sie noch Bereiche, bei denen es Anpassungen braucht?
Ein weiterer grosser Handlungsbedarf besteht für Menschen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen, die nicht selbstständig externe Angebote nutzen können. Zum Beispiel Menschen, die sich nicht ausdrücken können. Diese Gruppe wird oft bei der Planung von Massnahmen übersehen. Hier braucht es niederschwellige Angebote vor Ort, eine sorgfältige Personalauswahl, regelmässige Schulungen des Personals sowie klare Handlungskonzepte.
Verbände und Institutionen der Behindertenorganisation fordern, dass Beratungsanbietende wie etwa die Opferhilfe beider Basel proaktiv auf die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung zugehen. Wie kann das konkret ablaufen?
Das Angebot der Opferhilfe beider Basel kann barrierefrei formuliert und über zugängliche Kanäle verbreitet werden. Institutionen der Behindertenhilfe verfügen über umfangreiche Datenbanken mit Kontakten zu Menschen mit Beeinträchtigungen. Beratungsanbietende können auch proaktiv auf die Zielgruppe zugehen, indem sie Wohninstitutionen, Arbeitsplätze und Tagesstrukturen für Menschen mit einer Beeinträchtigung besuchen und dort ihr Angebot niederschwellig vorstellen. Zudem können Beratungsanbietende und Institutionen der Behindertenhilfe gemeinsam Workshops entwickeln, um gezielt Sensibilisierungsarbeit zu leisten. Dies könnte auch im Peer-to-Peer-Format umgesetzt werden. Zum Beispiel indem eine Person mit kognitiver Beeinträchtigung eingestellt wird, um auf das Angebot aufmerksam zu machen. Allerdings stellt sich die Frage nach den nötigen Ressourcen und der Finanzierung. Bund und Kantone müssen hierfür die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
Welche Schutzmassnahmen setzen Sie in Ihren Angeboten um?
Wir stellen unsere Klientinnen und Klienten in den Mittelpunkt des Geschehens und pflegen eine offene Kommunikationskultur. Mit ihnen werden die geltenden Regeln und Normen offen kommuniziert, ebenso mit unseren Mitarbeitenden. Eine Kultur des Hinschauens und der Transparenz ist dabei handlungsleitend. In Institutionen der Behindertenhilfe wird den Mitarbeitenden in Bezug auf die Prävention von Gewalt eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Bei der Personalsuche gehen wir somit gründlich und achtsam vor. Klientinnen und Klienten werden regelmässig sensibilisiert und Mitarbeitende geschult. Insieme Basel setzt ein Präventionskonzept um, das Handlungsanleitungen vorgibt und Kommunikationswege klar definiert. Der Verein unterhält ein Qualitätsmanagementsystem. Konzepte werden regelmässig intern und extern auditiert. Des Weiteren sind alle Notfallnummern, darunter auch die Nummer der Ombudsstelle des Kantons Basel-Stadt, in den Allgemeinräumen unserer Wohngruppen für alle ersichtlich angebracht.
Link: Insieme Basel
Weiterführende Informationen
Opferhilfe beider Basel
Steinengraben 5
CH-4051 Basel
Montag bis Freitag
8.30 – 12.00 und
von 13.30 – 16.30