Warum der Bund mehr zum Schutz vor Gewalt tun muss

Die Verbände und Institution der Behindertenorganisation und Branchenverbände verlangen vom Bund zusätzliche Schritte, um Menschen mit Behinderungen besser vor Gewalt zu schützen. Wo in der Region Handlungsbedarf besteht und was Opferhilfestellen tun können, erklärt Bettina Zeugin, Präsidentin von insieme Baselland, im Interview.

Der Bundesrat hat 2023 in einem Bericht zur Gewalt an Menschen mit Behinderungen verschiedene Massnahmen vorgeschlagen. So sollen unter anderem die Datenlage und Datenqualität und auch der Zugang zu Beratungs- und Schutzangeboten verbessert werden.

Vertretungen der Mitglieder von Verbänden und Institution der Behindertenorganisation und Branchenverbände haben den Bericht zwar begrüsst. Doch sie kritisierten, die Empfehlungen seien zu wenig verbindlich. Und sie verlangten einen griffigen Umsetzungsplan.

Konkret wurden diese Forderungen gestellt:

  • Die Behindertenperspektive ist in allen relevanten Gewaltstatistiken zu berücksichtigen. Und es braucht einen Forschungsauftrag für eine Prävalenzstudie, damit die Opfererfahrungen der Bevölkerung erfasst werden können.
  • Die Zielgruppe soll durch Beratungsanbietende proaktiv angesprochen werden. Die Angebote müssen bekannt werden.
  • Es müssen Qualitätskriterien für Schutzvorkehrungen definiert und eingefordert werden, damit die Kantone ihre Aufsichtspflicht einheitlich wahrnehmen können.
  • Eine Sensibilisierungskampagne für Menschen mit Behinderung, Fachpersonen und die breite Öffentlichkeit muss gestartet werden.
  • Es braucht finanzielle Unterstützung, um Schutzkonzepten und Meldestrukturen für die Dienstleister für Menschen mit Behinderung zu erarbeiten und einzuführen.


Frau Zeugin,
Verbände und Institutionen der Behindertenorganisation haben den im Juni 2023 vorgestellten Bericht des Bundesrat begrüsst, aber weitere Massnahmen gefordert. Wie beurteilen Sie die Situation von Menschen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind, heute?

Bettina Zeugin: Es besteht eine grosse Abhängigkeit. Wer als Mensch mit kognitiven Beeinträchtigungen Hilfe benötigt, kann sich diese nicht selbst holen. Er oder sie ist auf Unterstützung angewiesen. Generell fehlen das Bewusstsein und das Wissen über bestehende Hilfsangebote. Und die Angebote sind nicht barrierefrei ausgestaltet.

Wie ist  die Situation in unserer Region? Wo sehen Sie hier aufgrund Ihrer Erfahrungen den grössten Handlungsbedarf?
Die Fachstellen wie die Opferhilfe benötigen zusätzliche finanzielle Mittel, um ihre Angebote spezifisch für die Zielgruppe der Menschen mit Beeinträchtigungen anzupassen und aktiv an diese heranzutragen.

Verbände und Institutionen der Behindertenorganisation fordern, dass Beratungsanbietende wie die Opferhilfe beider Basel proaktiv auf die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung zugehen. Wie kann das konkret ablaufen?
Die Opferhilfe könnte mit uns über unsere Kanäle kommunizieren: online über Website, Newsletter und Social Media. Und auch offline über Veranstaltungen, Mitgliederversammlung, mit der Abgabe von Material an Infoanlässen zu unseren Angeboten wie Ferienwochen oder Freizeitgruppen und Schulungen unserer Freiwilligen.

Welche Schutzmassnahmen setzen Sie in Ihren Angeboten um?
Insieme Schweiz, unser Dachverband, hat die «Charta zur Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen» unterschrieben. Entsprechend sensibilisieren wir unsere Freiwilligen und verlangen von Ihnen einen Sonderprivatauszug des Bundesamts für Justiz. Dieser gibt Auskunft über allfällige Urteile mit einem Berufs-, Tätigkeits-, Kontakt- oder Rayonverbot.

Wie können insieme und die Opferhilfe beider Basel enger zusammenarbeiten?
Sobald zielgruppen-spezifische Angebote bestehen, können wir gemeinsame Massnahmen umsetzen. Ein Beispiel sind Infoanlässe für Ferienwochen-Teilnehmende und Beiträge in unseren Medien.

Link: Insieme Baselland

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