StPO-Revision: Erstes Fazit aus Opfersicht

Seit Anfang Jahr ist die Revision der Strafprozessordnung (StPO) in Kraft. Was hat sich dadurch für die Opfer verändert? Antworten darauf lieferte die juristische Fachtagung der Opferhilfe beider Basel in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Opferhilferecht der Advokatenkammer Basel-Stadt. 

Die neue Strafprozessordnung gilt seit rund zehn Monaten, und nach und nach zeigt sich, wie die Kantone damit umgehen. Zudem gibt es dazu erste Bundesgerichtsentscheide. Es ist also der richtige Zeitpunkt, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, weshalb es zu dieser Revision kam und welches die opferspezifischen Neuerungen sind. So nahmen an der juristischen Fachtagung vom 24. Oktober 2024 denn auch rund 70 Anwältinnen, Anwälte, Staatsanwältinnen, Staatsanwälte sowie Behördenvertretende teil.

Erste Gerichtsentscheide
Den Anfang machte Regula Echle, Staatsanwältin Kanton Solothurn, die souverän und differenziert referierte und auf erste Entscheide der Rechtsprechung hinwies. Dabei nahm sie immer wieder Bezug zu den Absichten, die hinter den Neuerungen liegen, indem sie fragte: Was wollte der Gesetzgeber und wieso wollte er es so?

Aus Sicht der Opfer sind folgende Änderungen relevant:

  • die unentgeltliche Rechtspflege auch für die Strafklage des Opfers
  • keine Rückerstattungspflicht der Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege für Opfer oder Angehörige
  • zu bezahlende Sicherheitsleistungen bei Ehrverletzungen
  • Schutzmassnahmen für Kinder bei der Einvernahme (Ausnahme vom Teilnahmerecht der beschuldigten Person)
  • Informationsrechte des Opfers bezüglich des Entscheids oder des Strafbefehls in der Rechtssache (unentgeltliche Zustellung von Urteil oder Strafbefehl)
  • Informationspflicht der Staatsanwaltschaft bei Abschluss der Untersuchung (bei Opfern, die noch nicht über ihre Rechte informiert wurden)
  • Zivilforderungen, über welche die Staatsanwaltschaft nun im Strafbefehlsverfahren entscheiden kann.

Gerade die letzten beiden Punkte dieser Liste sind die komplexesten. Dazu gilt es in den nächsten Monaten die Praxis zu beobachten, da es dazu nur wenig Vorgaben gibt. Staatsanwältin Echle führte in ihrem Referat aus, dass die Revision die gesteckten Ziele grundsätzlich erreicht habe und den Opfern mehr Rechte und Möglichkeiten gebe. Es liegt nun aber an den zuständigen Behörden und Gerichten, dies auch so umzusetzen.

Podiumsdiskussion zu den Erfahrungen
Nach einer Pause begrüsste Beat John, Geschäftsleiter der Opferhilfe beider Basel, die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion: Alexandra Frank, Staatsanwältin BS, Fabienne Rehmann, Staatsanwältin BL, Regula Echle, Staatsanwältin Solothurn, Béatrice Müller, Anwältin und Leitende der Fachgruppe Opferhilferecht der Advokatenkammer BS, sowie Sophie Martin, Juristin und Beraterin der Opferhilfe beider Basel.

Die Diskussion zu den im Referat angesprochenen Themen, vor allem zu Zivilforderungen im Strafbefehlsverfahren, zeigte die Bereitschaft aller, in der Umsetzung die Interessen der Opfer zu berücksichtigen und den Opferschutz zu stärken. Es wurde aber klar, dass gewisse Neuerungen mit Mehrarbeit für die Staatsanwaltschaften verbunden sind. In einer Zeit mit hohen Pendenzenbergen und Überlastung der Staatsanwaltschaften ist dies sehr anspruchsvoll.

Die hohe Arbeitsbelastung spüren alle Parteien – insbesondere auch die Opfer. Hier hat die Politik einen grossen Handlungsbedarf. Es bringt nichts, wenn schweizweit bezüglich Gewalt sensibilisiert und informiert wird und gleichzeitig die nötigen Ressourcen fehlen, um die Strafverfahren in einem vertretbaren Zeitrahmen abzuwickeln.

Die Diskussion zeigte auch auf, dass es sehr herausfordernd ist, Opferanwältin und -anwalt zu sein. Diese Arbeit kann belastend und einnehmend sein. Die Situation eines Opfers sei mit so vielen Fragen und Unsicherheiten verbunden, dass sich eine Anwältin oder ein Anwalt nicht einfach auf das Strafverfahren konzentrieren könne. Zudem stelle die Vertretung eines Opfers hohe kommunikative Anforderungen. Es gehe dabei um eine sehr traumasensible Beratung und Vertretung. Zur Sprache kam dabei die Frage, was die Politik mache, damit es ausreichend motivierte und engagierte Opfervertretende gebe. Im Vergleich dazu gebe es deutlich mehr Strafverteidigerinnen und -verteidiger.

Viele Anwesende brachten sich anschliessend in die Podiumsdiskussion ein. Der Austausch zwischen Anwältinnen und Anwälten, Behörden sowie Staatsanwaltschaft wurde sehr geschätzt. Der Anlass endete mit einem wohlverdienten und willkommenen Apéro.

Enger Austausch als Erfolgsfaktor
Eine enge Zusammenarbeit der Opfervertretenden, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte (die dieses Mal leider nicht dabei waren) ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor im und für den Opferschutz. Sich kennenlernen, austauschen, sich verstehen und weiterentwickeln: Das schafft ein wichtiges gemeinsames Fundament, kann die Effizienz und Effektivität erhöhen und dient den Opfern auf dem Weg zu Würde und Recht. Dazu leistete die Veranstaltung einen wichtigen Beitrag.