Hate Crimes – ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft

2023 wurden der LGBTIQ-Helpline in der Schweiz 305 Hate Crimes gemeldet – mehr als doppelt so viele als im Vorjahr. Diese erschreckende Zahl macht deutlich, wie gravierend die Bedrohung durch queerfeindliche Gewalt ist. Verlangt ist nicht nur verstärkte Unterstützung für Betroffene der LGBTIQ-Community. Es braucht auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Denn Hate Crimes stellen einen Angriff auf unsere offene Gesellschaft dar.

Täglich sind queere Menschen in der Schweiz verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt. Die breite Gesellschaft nimmt diese Bedrohung oft nicht wahr. Und wer erzählt bekommt, wie queere Menschen im öffentlichen Raum beschimpft, im Tram angespuckt, auf dem Weg zur Pride Parade mit Getränkedosen beworfen oder tätlich angegriffen wird, reagiert häufig mit Unglauben oder Staunen. Doch die Realität ist klar: Auch in einem fortschrittlichen und angeblich freien Land wie der Schweiz sind queerfeindliche Hate Crimes keine Seltenheit. Daran weder die Einführung der Ehe für alle noch der Sieg einer nonbinären Person beim letztjährigen Eurovision Song Contest etwas geändert.


Was sind Hate Crimes?

Mit Hate Crimes werden Straf- und Gewalttaten bezeichnet, bei welchen einer Person vorsätzlich und gezielt aufgrund einer tatsächlichen bestehenden oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe Schaden zugeführt wurde. In der Schweiz können solche Taten seit 2016 direkt bei der LGBTIQ-Helpline gemeldet werden. Diese erfasst die Angriffe und bietet Betroffenen in einem Peer-Angebot , also durch Menschen aus der LGBTIQ-Community, Unterstützung an. Laut dem neusten Hate Crimes Bericht, der von verschiedenen Organisationen (LGBTIQ-Helpline, Pink Cross, LOS und TGNS) herausgegeben wird, wurden 2023 insgesamt 305 Hate Crimes gemeldet. Dies entspricht fast sechs Meldungen pro Woche. 2020 waren es erst 61 gewesen.

Die meisten Betroffenen erfahren Gewalt im öffentlichen Raum. Besonders gefährdet sind queere Menschen, deren Geschlechtsidentität oder Geschlechtsausdruck sichtbar sind. Der starke Anstieg ist besorgniserregend. Und so ist es leider auch 2025 keine Selbstverständlichkeit, dass sich queere Menschen im öffentlichen Raum frei und ohne Angst vor Angriffen bewegen können – sei es Hand in Hand mit einer Beziehungsperson zu spazieren oder eine Pride Parade zu besuchen.


Hate Crimes als Angriff auf unsere offene Gesellschaft

Hate Crimes richten sich nicht nur gegen die konkret betroffene Person, sie richten sich gegen die gesamte gesellschaftliche Gruppe, zu der diese Person gehört. Ein erschreckendes Beispiel war der Versuch rechtsextremer Gruppen, Pride Paraden im Osten Deutschlands zu stören. Solche Angriffe machen deutlich, dass Hate Crimes nicht auf die queere Community zielen, sondern auf unsere offene Gesellschaft als Ganzes.

In ganz Europa ist ein Erstarken der politischen Rechten zu beobachten. Sie kämpfen auf politischer Ebene gegen die Rechte von queeren Menschen und verbreiten gleichzeitig im Alltag Hass. Dieser findet nicht nur in anonymen Internetforen oder Telegram-Gruppen statt, sondern auch ganz real an öffentlichen Orten – an Bushaltestellen, auf Schulhöfen oder auf Trottoirs.

Auch der Eurovision Song Contest, der dieses Jahr in Basel stattfindet und Zehntausende Besuchende aus der ganzen Welt anziehen wird – viele davon aus der LGBTIQ-Community –, kann möglicherweise Ziel von Hate Crimes werden. In der politischen Debatte rund um die Abstimmung in Basel-Stadt verwendete die EDU queerfeindliche Argumente und stellte den Anlass als «hedonistisch», «dekadent», wenn nicht sogar als «satanistisch» dar.


Die Verantwortung von Gesellschaft und Behörden

Der Kampf gegen Hate Crimes betrifft uns alle. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, sich gegen diese Angriffe, die meist im öffentlichen Raum erfolgen, zu stellen. Aber auch Sicherheitsbehörden und Opferhilfestellen sind gefordert. Ihr Ziel muss es sein, den Zugang zu Unterstützung und Beratung zu verbessern. Denn nur 15 % der gemeldeten Hate Crimes, die 2023 bei der LGBTIQ-Helpline eingingen, wurden bei der Polizei angezeigt. Dies ist besorgniserregend. Der Bericht zu Hate Crimes nennt die Gründe: Betroffene befürchten Ablehnung von der Polizei, sie denken, der Vorfall habe keine polizeiliche Relevanz, und sie haben Angst vor Tatpersonen.

Die queere Community hat in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Der Christopher Street Day entstand als Protest gegen diskriminierende Polizei-Razzien in New York. Und erst 1980 wurden in Zürich und Bern sogenannte Homo-Register, welche die Stadtpolizei führte, abgeschafft. Das sind nur zwei Beispiele für das schwierige Verhältnis zwischen der queeren Community und den Sicherheitsbehörden.

Auch heute machen noch zu viele Betroffenen, die Hate Crimes bei der Polizei anzeigen, negative erfahren. Laut dem Hate Crime Bericht 2024 erlebten 11 % Ablehnung oder Herablassung, 13 % waren mit Unwissenheit seitens der Polizei konfrontiert. Dies zeigt, dass noch einiges getan werden muss, um das Vertrauen der queeren Community in die Polizei und in das Rechtssystem wiederherzustellen.


Die Rolle der Opferhilfe

Das Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz) garantiert allen Personen, die in der Schweiz Opfer einer Straftat werden, kostenlose und unentgeltliche Unterstützung. Doch queere Betroffene von Hate Crimes wenden sich nur selten an eine Opferhilfestelle. Hier ist auch die Opferhilfe beider Basel gefordert, die Zugänge zu erleichtern und die Angebote gezielt auf die Bedürfnisse der queeren Community auszurichten, indem z.B vermehrt aufsuchende und niederschwellige Beratungen angeboten und Peer-Berater*innen zum Umgang mit gewaltbetroffenen Menschen und ihren Rechten geschult werden.

Die queeren Menschen in der Schweiz müssen sich darauf verlassen können, dass sie nach einem Übergriff Unterstützung finden. Es ist die Verantwortung der Opferhilfe, dafür zu sorgen, dass diese Menschen ihre Rechte als geschädigte Personen wahrnehmen können – ohne Barrieren und ohne Angst vor weiterer Diskriminierung.

 

Fazit: Ein gemeinsamer Kampf für eine gerechte Gesellschaft

Es liegt in der Verantwortung von uns allen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität sicher und respektiert leben können. Dafür braucht es eine starke, solidarische Gemeinschaft, die sich gegen Hate Crimes stellt. Nur gemeinsam können wir eine Gesellschaft aufbauen, in der Vielfalt geschätzt wird und Diskriminierung keine Chance hat.