In Basel-Stadt kümmert sich die Kantonspolizei auch um Prävention gegen Gewalt. Leonie Meyer, die Leiterin des Ressorts, erklärt im Interview, worauf es dabei ankommt. Und weshalb Lehrpersonen und Schulleitungen das kostenlose Angebot häufiger nachfragen.
Wozu braucht es bei der Kantonspolizei Basel-Stadt ein Ressort «Prävention gegen Gewalt»?
Dass die Gewaltprävention bei der Kantonspolizei angegliedert ist, ist historisch gewachsen und im nationalen Vergleich einzigartig. In vielen Kantonen ist dies einem anderen Departement angegliedert, wird durch private Unternehmen zur Verfügung gestellt oder ist inexistent. Uns ist bewusst, dass die Angliederung der Gewaltprävention bei der Kantonspolizei bei den Personen, die wir erreichen möchten, Hemmungen auslösen kann. Doch wir sehen auch ganz klare Vorteile. In unserem Team sind zum Beispiel die Disziplinen Psychologie, Sozialpädagogik, Gewaltberatung und Polizei vertreten. Durch die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche und die unterschiedlichen Blickwinkel können wir stets das bestmögliche Resultat erreichen und ein breites Themenfeld abdecken.
Was sind die wichtigsten Aufgaben?
Unsere Aufgaben lassen sich in drei Gebiete unterteilen: Präventionen, Interventionen und Trainings. Die Präventionen sind vorgefertigte Programme, die in Kindergärten bis zur Sekundarstufe I durchgeführt werden können. Hier handelt es sich um eine sogenannte universelle Prävention. Diese eignet sich für jegliche Schulklassen und verfolgt folgende Ziele: Wir fördern die Sozialkompetenzen, die Fähigkeiten, Konflikte zu lösen, die Empathie und den Klassenzusammenhalt.
An wen richten sich Interventionen und Trainings?
Interventionen werden für Schulklassen von der Primar- bis zur Sekundarstufe II angeboten, wenn es in einer Klasse oder Gruppe bereits zu unguten Dynamiken, Konflikten oder auch zu spezifischen Vorfällen gekommen ist. Hier wird der Inhalt individuell an die Bedürfnisse der Klassen angepasst – man spricht von einer selektiven Prävention. Als indizierte Prävention gibt es bei uns Verhaltenstrainings, das dritte Gebiet. Dazu gehören das Kinder-Konflikt-Training, das Stopp-Gewalt-Training sowie das Konflikt-Kompetenz-Training. Diese Trainings eignen sich für Kinder und Jugendliche, die in der Schule oder auch privat vermehrt durch grenzverletzendes oder grenzüberschreitendes Verhalten auffallen. Die Trainings finden ausserhalb der Schule in einem Gruppensetting statt.
Wie häufig nehmen Lehrpersonen und Schulleitungen Ihr Angebot pro Jahr in Anspruch? Nimmt das zu?
Da all unsere Angebote lediglich auf Anfrage angeboten werden und es kein flächendeckendes Programm gibt, sind die Zahlen von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. In den letzten Jahren konnten wir jedoch eine starke Zunahme an Anfragen feststellen. Allein im Jahr 2023 wurden in 58 Klassen eine Prävention, in 47 Klassen eine Intervention und mit 54 Kindern oder Jugendlichen ein Training durchgeführt. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass sämtliche Angebote im Kanton Basel-Stadt kostenlos sind.
Wie können Sie Schülerinnen und Schüler am besten erreichen? Wie laufen eine Schulung oder eine Intervention konkret ab?
Das ist von Klasse zu Klasse sehr unterschiedlich. Generell ist es uns wichtig, unsere Angebote mit so wenig trockener Theorie wie möglich zu füllen, sondern den erlebnispädagogischen Ansatz zu wählen. So versuchen wir mit vielen Übungen und Spielen den Schülerinnen und Schülern unsere Inhalte zu vermitteln und mit ihnen sogleich zu üben. Bei den Interventionen ist es uns zudem sehr wichtig, dass die Klassen selbst mitbestimmen können, welche Themen ihnen wichtig sind, also was sie in der Klasse stört und wo sie jedoch auch die Stärken sehen. So lässt sich einerseits die Motivation der Teilnehmenden steigern, und andererseits können sie mehr in die Verantwortung gezogen werden.
Wie lange dauert dies jeweils?
Bei den universellen Präventionen ist der zeitliche Ablauf klar definiert. Je nach Schulstufe sind es zwischen einem bis fünf Termine pro Klasse. Bei einer Intervention wird die Dauer individuell an die Bedürfnisse der Klasse angepasst. Zuerst gibt es immer ein Vorgespräch mit der Lehrperson, gefolgt von einem Elternabend und danach durchschnittlich fünf Doppellektionen mit der Klasse.
Welche weiteren Präventionsangebote gibt es von Ihrem Ressort?
Im Rahmen der indizierten Prävention bieten wir auch Einzelberatungen für Kinder und Jugendliche an. Dies etwa dann, wenn wir feststellen, dass sich das Gruppensetting nicht eignet oder sich die Thematik zu stark von jener der anderen Teilnehmenden unterscheidet.
Zudem sind wir Ansprechperson rund um das Thema Gewalt und geben individuelle Weiterbildungen oder Workshops zu Gewalt, Mobbing, Umgang mit aggressivem Verhalten, Amok sowie Radikalisierung und Extremismus.
Gibt es auch telefonische Angebote?
Ja, gemeinsam mit dem Ressort Jugend- und Präventionspolizei bedienen wir eine Helpline für Schulleitungen und Lehrpersonen, die eine strafrechtliche Frage haben oder bei welchen es zu einer bedrohlichen Situation im schulischen Kontext gekommen ist. Die Helpline ist als telefonische Beratungsstelle zu verstehen. Und wir bedienen die Anlaufstelle Radikalisierung. Sie steht der gesamten Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt zur Verfügung. Bei dieser Anlaufstelle kann sich jede Person melden, die den Verdacht hegt, dass sich jemand in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld in einem Radikalisierungsprozess befinden könnte, und sich Sorgen um diese Person macht.
Seit wann gibt es das Ressort und was ist seither erreicht worden?
Das Ressort Prävention gegen Gewalt existiert seit dem Jahr 2012. Abgesehen davon, dass die Angebotspalette stark ausgebaut werden konnte, wurden viele Synergien im Kanton genutzt und die Beziehung zu den Schulen gefestigt. 2016 ist das Themengebiet Radikalisierung und Extremismus durch einen Regierungsratsbeschluss neu dazugekommen. Das Wichtigste ist jedoch: Wir konnten in diesen zwölf Jahren etliche Schulklassen unterstützen und diversen Kindern und Jugendlichen helfen, die Gewaltspirale zu verlassen.
Was steht im 2024 an besonderer Präventionsarbeit bevor?
Aufgrund der steigenden Anfragen und den vielen neuen Projekten der vergangenen Jahre sind wir personell momentan leider an unserer Grenze. So sind zu unserem Bedauern lange Wartefristen entstanden. Deshalb legen wir 2024 den Fokus weniger auf neue Themenfelder. Vielmehr versuchen wir, die Wartezeiten zu reduzieren, um Schulklassen zeitnahe Unterstützung anbieten zu können.
Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?
Ich empfinde und erlebe meine Arbeit als sehr sinnstiftend. Das ist sehr motivierend. Unsere Arbeit bei der Gewaltprävention ist zudem sehr abwechslungsreich – jeder Tag, jede Klasse birgt etwas Neues. Darüber hinaus hat mich der Blick hinter die «Fassade» schon immer interessiert: Wieso verhält sich jemand so? Wieso übt jemand Gewalt aus? Gerade bei Kindern und Jugendlichen verbergen sich meist sehr tragische Schicksale hinter ihrem Verhalten. Dadurch lässt sich vieles erklären, aber natürlich nicht entschuldigen. Den Kindern und Jugendlichen in dieser Situation Hilfe anbieten zu können, anstelle sie zu verurteilen, motiviert mich Tag täglich.
Opferhilfe beider Basel
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